
Chichén Itzá, eines der Sieben Weltwunder der Modernen Welt, wer kennt es nicht. Nun fragen Sie mich, was daran unberührt sein soll? Nichts, antworte ich Ihnen.
Oder alles, an diesem besonderen Tag.
Es ist der 21. März, Equinox, die Tag- und Nachtgleiche.
Bei den alten Hochkulturen hat die Sommer- und die Wintersonnenwende immer eine wichtige Rolle gespielt, beispielsweise in Ägypten, in Abu Simbel, wo der Lichteinfall an diesem Datum die Ramsesfigur im Tempel trifft.
Auch in Chichén Itzá haben die intelligenten Architekten ein Licht- und Schattenspiel an diesem speziellen Datum kreiert.
Ansonsten hab ich keine Ahnung, was auf mich zukommt, aber etwas zieht mich dorthin. Ich hab viel gearbeitet die letzten Tage und sitze so gestresst wie neugierig früh morgens in einer organisierten Bustour, harrend, der Dinge, die da kommen.
Mein Körper spielt verrückt
Oder: Vorbereitung, auf das, was kommt?
Es ist eine große, gemischte Gruppe und die Erklärungen sind halbherzig.
Ich nehme an, ich erwähnte schon, dass ich mit diesen organisierten Massentouren seit einiger Zeit meine Probleme habe.
Wir halten an einer Shoppingzeile, nur für die Touristen in die Landschaft gesetzt, absolut überteuert, aber zugegebenermaßen eine strategische Pause auf der vierstündigen Fahrt.
Wir gehen auf perfekt angelegten Wegen entlang und bekommen eine Vorführung einer Schamanenzeremonie.
Ganz ehrlich, ich steh’ auf so etwas. Bei jeglichen Zeremonien finden Sie mich ganz vorne in der ersten Reihe, hier allerdings nicht. Authentisch und überzeugend geht anders.
Ich merke, wie ich immer wackliger auf den Beinen werde. Komisch, mit dem Klima komme ich zurecht. Seit Monaten wohne ich schon in Mexiko und heute Morgen war alles wie immer.
Den Rest der Tour bekomme ich gar nicht mehr mit. Was passiert, ist mir bis heute ein Rätsel.
Ich werde von jetzt auf gleich so krank und schwach, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten kann. Bauchkrämpfe schütteln mich. Wo sind wir nochmal gerade? Wo ist das nächste Dorf? Ich frage lieber nicht nach dem nächsten Krankenhaus. Alles schmerzt und ich mache mir langsam ernsthaft Sorgen.
Ja, ich habe ausreichend Wasser getrunken. Ja ich habe schon etwas gegessen.
Meine romantische Idee von einem Schamanen
Oder: Get realistic, Baby
Was ist denn nur los?
Stellen Sie sich eine frisch gestrichene, weiße Wand vor. Sie haben das Bild?
So in etwa sieht die Farbe meines Gesichtes aus. Irgendwann kommt unser Guide vorbei, endlich, ob er schnell den Schamanen holen könne, frage ich, mir ginge es ganz dreckig.
Der Schamane ist gerade in einer lohnenswerten Familienberatung. Ob er mir helfen könne, frage ich. Später habe er Zeit, aber ich solle eine Cola trinken, sagt er mir noch im Vorbeigehen.
Wie bitte? Ich höre immer nur Cola. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass das mein liebstes Heilmittel auf Reisen ist. Sie macht Dich wach, wenn Du übermüdet über das Atlasgebirge fährst, um die Aussicht nicht zu verpassen und sie schützt vor irgendwelchen Magengeschichten. Und das alles durch die von Haus aus sehr schädliche Zusammensetzung.
Sie merken also, mir geht es wirklich nicht so gut, sonst hätte bei mir sowieso als erstes der „Cola-Gang“ angestanden.
Mein Führer ist in diesem Falle so freundlich, mir eine zu besorgen. Es ginge nun weiter. Ich störe ihn sichtlich. Kann ich verstehen, so Jammerlappen sind auch nichts für mich. Krankenhaus oder Bus?
Mit der Cola in der Hand fällt meine Wahl auf den Bus.
Ich werde beim Einsteigen in den Bus gestützt. Sofort muss ich mich hinlegen.
Der Jammerlappen kommt wieder zu Kräften
Oder: Spirituelle Reinigung vor dem großen Event
Ich nuckle an meiner Cola, bis sie leer ist. Was passiert? Genau, es geht mir wieder besser. Vielleicht nicht unbedingt wie dem springenden Reh, aber „back to normal“.
Nächster Stopp, Cenote. Ein absolutes Muss in Mexiko.
Cenoten sind Süsswasservorkommen unter der Erde.
Bei den Mayas waren und sind Cenoten heilige Plätze mit heilender Wirkung.
Ich kann es kaum abwarten, ins Wasser zu springen. Kristallklar, eiskalt und reinigend, ein Gefühl wie neu geboren. Ich wasche mir den ganzen Schrecken vom Körper. Was das wohl noch für ein Tag wird?
Wenn Reisen bei mir chaotisch oder überraschend starten, so zieht sich das häufig wie ein roter Faden durch die gesamte Zeit.
Wieder fit kann ich es nun kaum noch erwarten. Wir werden an einem
Kraftplatz sein zu einem kraftvollen Ereignis, das seit Tausenden von Jahren gefeiert wird.
Allerdings wird meine Euphorie ein klein bisschen gedämpft, als wir auf dem Parkplatz ankommen. Es ist mein dritter Besuch in Chichén Itzá. Dieser Ort hat Power, aber jetzt sind vor, hinter und neben mir nur Menschen, viele in weiß gekleidet.
Alle Nationalitäten stehen in einer Schlange. Ich gucke
besorgt auf die Uhr und dann auf die lange wartende Schlange vor mir.
Hatte ich eigentlich erwähnt, dass ich nicht der ultimative Geduldsmensch bin?
Wie war das noch mit der Zeit? Das Spektakel wird um die Mittagszeit stattfinden.
Schließlich hat das Warten ein Ende. Zusammen mit Hunderten von Menschen ströme ich auf das Gelände. Hubschrauber kreisen über uns.
Es stehen schon Tausende dort und warten. So hab ich Chichén Itzá noch nie erlebt.
Ich lasse mir erklären, worauf wir genau warten. Durch das Schatten- und Sonnenspiel wird es so aussehen, als schlängelte sich der Schlangengott Kukulkan, die gefiederte Schlange, die Pyramidenstufen herunter. Im September geht es dann wieder hinauf.
Das Zeitfenster beträgt ungefähr eine Stunde. Gleich soll es beginnen, doch etwas stimmt nicht.
Ich hebe mein Gesicht zum Himmel.
Wolke vor Sonne bedeutet kein Licht- und Schattenspiel
Oder: Wer hat vergessen, Sonnenschein zu bestellen?
Es ist bewölkt. Es ist bewölkt!
Da fällt mir die Geschichte eines Einheimischen wieder ein, der sechs Jahre versucht hat, dem Equinox beizuwohnen. Mal hat er verschlafen, häufig wares bewölkt. Ja klar, warum sollte ich ein Glückskeks sein, bei dem es gleich beim ersten Equinox funktioniert?
Kein Problem, sage ich mir und atme tief durch. Dieser Platz ist magisch und mit diesen vielen Menschen, die friedvoll hierhergekommen sind, doppelt beeindruckend.
Ich breite meine Jacke aus und lümmel mich auf den Rasen.
Die Besucher sehen alle paar Minuten auf ihre Uhr, mir geht es genauso.
Ich finde mich damit ab, dass heute die Sonne nicht mehr herauskommt. Doch innerlich zu unruhig, rappel ich mich wieder hoch. Durch die Massen schlendere ich bis nach ganz vorne, um mir den in Stein gemeisselten Schlangenkopf näher anzusehen.
Plötzlich merke ich, wie sich etwas verändert.
Das Unvorstellbare passiert
Oder: Wir alle sind hier. Wir alle sind. In diesem Moment.
Stellen Sie sich vor, wie Tausende von Menschen beginnen zu klatschen, zu pfeifen und zu jubeln.
Ehe ich richtig begreife, schlängelt sich der Schlangengott direkt zu mir herunter.
Die Sonne ist da. Die Menschenmassen sind im Freudentaumel.
Alle klatschen wir zusammen zu Ehren des jahrtausendealten Gottes.
Gänsehaut pur, ich bin mir sicher, mir laufen Tränen über die Wangen, so berührend ist dieser Moment.
Gemeinsam gefeierte Freude, gemeinsam gefeierte Hoffnung, gemeinsam gelebter Frieden, gemeinsam gefeiertes Leben.
Bald ist Kukulkan wieder verschwunden, weil die Sonne wieder verblasst, aber diese paar Minuten reichen.
Die Menschen, die hier sind, sind in diesem Moment ein sichtbarer Teil von göttlicher Liebe.
Anders kann ich es nicht in Worte fassen.
Für einige Minuten ist dieser bekannte Kraftplatz, ein Kraftplatz, den die wenigsten Menschen je so erleben werden.
Selbst beim Schreiben dieser Zeilen bekomme ich noch Gänsehaut.
Ich kann meine Dankbarkeit, dass ich an diesem besonderen Tag teilhaben durfte, nicht in Worte fassen, aber in die Welt tragen kann ich sie mit diesen Zeilen.
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